Mittwoch, 31. Januar 2018

Untersuchungsausschuss präsentiert Abschlussbericht

Der Untersuchungsausschuss zum Sozialbetrug in Bremerhaven hat heute (31.1.) nach knapp anderthalb Jahren Arbeit seinen Abschlussbericht vorgelegt. Das mehr als 200 Seiten umfassende Dokument ist das Ergebnis von 43 Beweisaufnahmen, in denen insgesamt 57 Zeugen vernommen wurden.

Vorstellung des Abschlussberichts

Am 25. August 2016 war der "Untersuchungsausschuss zur Untersuchung der Gründe, des Ablaufs und der Aufarbeitung des organisierten Sozialleistungsbetruges in Bremerhaven in der Zeit mindestens von Anfang 2013 bis April 2016" von der Bremischen Bürgerschaft eingesetzt worden. 155 Akten wurden aus verschiedenen Behörden in Bremerhaven angefordert, bevor der Ausschuss im Januar 2017 mit den Zeugenbefragungen begann. Zum heute vorgestellten Bericht äußerten sich die Obleute der Bürgerschaftsfraktionen wie folgt:

Nelson Janßen (LINKE), Vorsitzender:
„Im Jobcenter, beim Sozialdezernat, bei der Bundesagentur für Arbeit und bei Zoll und Polizei lagen sehr frühzeitig hinreichende Anhaltspunkte für den gewerblich-organisierten Betrug vor. Diese Informationen hätten einfach nur ausgewertet und ausgetauscht werden müssen, um das Geschäftsmodell der Vereine zu stoppen. Zusammen mit den Oppositionsfraktionen fordern wir deshalb, dass personelle Konsequenzen auch nachträglich geprüft werden, hier steht der Magistrat in der Pflicht. Von der sozialen Lage zugewanderter Arbeitsmigrant*innen profitieren ausbeuterische Arbeitgeber und Vermieter. Wir brauchen deshalb viel mehr Anstrengungen auf Landesebene, um diese Form moderner Sklaverei zu unterbinden. Verstöße gegen Arbeitsschutzbestimmungen auf dem grauen Arbeitsmarkt oder die Einhaltung baurechtlicher Vorschriften müssen deutlich besser kontrolliert werden.“

Dr. Thomas vom Bruch (CDU), stv. Vorsitzender:
„Der Untersuchungsausschuss hat offengelegt, wie wenig die Verwaltung – angefangen von Senat und Magistrat bis hin zu den einzelnen Behörden – in der Vergangenheit betrügerischen Verhalten entgegenzusetzen hatte. Statt organisierter Verantwortungslosigkeit müssen Zusammenarbeit und Kooperation verstetigt und Leistungsmissbrauch robuster und konsequenter entgegengetreten werden. Um Zuständigkeiten zukünftig klarer zu regeln, sollte auch über die Neuordnung von Kompetenzen nachgedacht werden: Beispielsweise wäre zu prüfen, ob der Zoll zukünftig für alle Rechtsverstöße rund um den Bereich Arbeit zuständig sein könnte. Neben diesen strukturellen Verbesserungen muss die Integration, auch für EU-Bürger, nach verbindlicheren Regeln gestaltet werden. Dafür halte ich ein Landesintegrationsgesetz für notwendig. Als politische Konsequenz aus den Ergebnissen der Ausschussarbeit muss Patrick Öztürk aus meiner Sicht darüber hinaus sofort sein Bürgerschaftsmandat niederlegen.“

Antje Grotheer (SPD):
„Es handelt sich um massenhaften, organisierten Sozialmissbrauch. Den hat es in vielen deutschen Städten gegeben. Das Ausmaß in Bremerhaven ist deswegen besonders groß, weil das Jobcenter und die Bundesagentur für Arbeit trotz der zahlreichen Hinweise nicht entschieden genug gegengesteuert haben. Selim Öztürk war der Drahtzieher des mutmaßlichen organisierten Sozialleistungsbetruges in Bremerhaven. Auch Patrick Öztürk hat nach unseren Erkenntnissen erhebliche finanzielle Vorteile erlangt. Er nutzte nach den Feststellungen des Untersuchungsausschusses sein Mandat, um Informationen für die betrügerischen Tätigkeiten der Vereine zu erlangen. Wir erwarten von Patrick Öztürk, dass er sein Mandat zurückgibt.“

Sülmez Dogan (GRÜNE):
„Für uns steht als Ergebnis des Untersuchungsausschusses fest, dass zwei Vereine in Bremerhaven über Jahre im großen Stil Leistungsmissbrauch unter Ausnutzung von verarmten Zuwanderern aus Osteuropa betrieben haben. Begünstigt wurde dieser Leistungsmissbrauch durch das vollständige Versagen aller beteiligten Behörden. Dem Jobcenter Bremerhaven, der Agentur für Arbeit, der Ortspolizeibehörde, dem Zoll, dem Sozialdezernenten Herrn Rosche und auch der Sozialamtsleiterin Frau Henriksen lagen sehr frühzeitig Hinweise auf massive Auffälligkeiten bei der Antragstellung und auf weitere Unregelmäßigkeiten vor. Dennoch wurde lange nichts unternommen, um den systematischen Leistungsmissbrauch zu unterbinden. Niemand fühlte sich zuständig, niemand griff ein. Ein solches Gestrüpp an Verantwortungslosigkeit darf sich nicht wiederholen. Die Leistungsgewährung muss künftig so organisiert werden, dass ein systematischer Leistungsmissbrauch frühzeitig erkannt, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten unmittelbar geregelt und Ermittlungen konsequent durchgeführt werden. Dafür hat der Ausschuss eine Reihe an Empfehlungen erarbeitet – von der Arbeitsorganisation in den Behörden und Ämtern bis zu verstärkten Kontrollen von Schrottimmobilien und Unternehmen, die von den ausgenutzten osteuropäischen Zuwanderern profitiert haben. Auch die bisherige Organisation der außerschulischen Lernförderung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket hat sich in der Seestadt als missbrauchsanfällig erwiesen, dies muss dringend geändert werden. Der Untersuchungsausschuss hat nicht zuletzt die Verwicklung des Abgeordneten Patrick Öztürk deutlich herausgearbeitet. Wir fordern ihn erneut auf, sein Mandat niederzulegen.“

Prof. Dr. Hauke Hilz (FDP):
"Aus Sicht der FDP-Fraktion muss die persönliche Haftung des Geschäftsführers des Jobcenters Bremerhaven Johann-Friedrich Gruhl sowie des ehemaligen Stadtrats Klaus Rosche und der Leiterin des Sozialamts Henriksen für den eingetretenen Vermögensschaden geprüft werden. Alle drei haben unserer Meinung nach massiv gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen und grob fahrlässig gehandelt. Trotz zahlreicher Erkenntnisse haben sie keine Gegenmaßnahmen eingeleitet, um die Zahlungen zeitnah zu stoppen."



Der Bericht wird jetzt dem Parlament zur Beratung vorgelegt. Der Untersuchungsausschuss hat damit seine Arbeit beendet; die voraussichtlichen Gesamtkosten belaufen sich auf knapp 500.000€.