Sonntag, 22. Oktober 2017

„Wir brauchen Demokraten und Verfassungspatrioten“

Die Bremische Bürgerschaft hat am Wochenende den 70. Geburtstag der Landesverfassung mit einem Festakt im Plenarsaal gewürdigt. Als Gastrednerin konnte Bürgerschaftspräsident Christian Weber die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gewinnen, die die Bremer Verfassung als vorbildlich und zukunftsorientiert bezeichnete.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vor Bürgerinnen und Bürgern im Plenarsaal

Republikanisch – sozial – demokratisch. Mit diesen drei Adjektiven umschrieb Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Kernelemente der bremischen Verfassung, die heute aktueller denn je seien. „Es war das große Anliegen der Mütter und Väter der  Verfassung 1947, die richtigen Antworten auf die eindeutigen Schwächen der Weimarer Verfassung und ihre Demontage zu geben.“ Die frühen Landesverfassungen hätten im Parlamentarischen Rat eine durchaus wichtige Rolle gespielt – nicht nur für das rechtliche Fundament der avisierten Gesamtstaatlichkeit. Vor allem hätten sie die ethisch-moralische Tonart vorgegeben, in die sich die im Entstehen begriffene gesamtstaatliche Verfassung hinein komponieren oder arrangieren konnte.

Als ein wertvolles Unikat der Bremer Verfassung bezeichnete Leutheusser-Schnarrenberger den Artikel 12 der Landesverfassung: „Dort heißt es kurz und schnörkellos, dass ‚der Mensch höher steht als Technik und Maschine‘. 1947 in die bremische Verfassung aufgenommen, konkretisiert diese Formulierung die Achtung der Menschenwürde, die Selbstbestimmung und Autonomie des Einzelnen auch gegenüber technologischen Entwicklungen. Wie vorausschauend die Verfassungsformulierungen 1947 waren, zeigt sich besonders angesichts der damals nicht vorhersehbaren Digitalisierung, die alle Lebensbereiche durchdringende, technische Entwicklung. Die mit dem Begriff Künstliche Intelligenz bezeichneten Elemente haben das Potenzial, das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, zwischen Mensch und Technik nachhaltig zu verändern.“ Die Zeit sei reif für einen ethischen Humanismus; digitale Werte, die sich an der Menschenwürde des Einzelnen orientierten. Technik müsse den Menschen dienen und dürfe sie nicht bevormunden. Das gelte für weitreichende staatliche Überwachungsmaßnahmen genauso wie für die datenmäßige Ausforschung des Einzelnen in unglaublichem Ausmaß durch private Konzerne, so die Politikerin. 


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger betonte, dass es nicht nur der Wehrhaftigkeit der verfassten Demokratie bedürfe. „Wir brauchen Demokraten, die, anders als so manche Regierungschefs auch westlicher Staaten, wissen, dass es diese freiheitliche demokratische Grundordnung ist, die die Demokratie davor bewahrt, in eine Despotie der Mehrheit umzuschlagen. Und wir brauchen Demokraten, die ihre Zuneigung zu und ihren Respekt vor dem Staat, in dem sie leben, in einem Patriotismus zum Ausdruck bringen, der sich nicht eines irrationalen ethnisch völkischen Nationalismus bedient, sondern auf die rechtsstaatliche, demokratische, sozial- und bundesstaatliche Verfasstheit unseres Gemeinwesens bezogen ist. Kurz, wir brauchen Verfassungspatrioten.“ Und Verfassungspatriotismus müsse Bildungsziel sein. 

Christan Weber wies auf den historischen Status „frei“ der Freien Hansestadt Bremen hin. Er besage, dass diese Freiheit von den Bürgerinnen und Bürgern begründet und ausgeformt werde, sozusagen Willensbildung „von unten“, das fortschrittlichste Demokratieprinzip. Das was in Bremen historisch gewachsen sei, scheine auch für die europäische Entwicklung zunehmend an Bedeutung zu gewinnen – das staatlich verfasste Handeln und Leben regional und damit nah an den Menschen zu definieren. „Vergessen wir nicht, die Verfassung ist der Garant unserer Freiheit, und mit ihr haben wir unsere Eigenstaatlichkeit bewirkt. Das ist Verpflichtung, sie auch in Zukunft zu gestalten und zu sichern“, erklärte der Präsident.

Die Aufzeichnung der Veranstaltung von Radio Weser.TV können Sie sich in unserem Video-Archiv auf vimeo ansehen.