Donnerstag, 26. März 2020

Arne Frankenstein im Porträt

Die Bremische Bürgerschaft hat heute (26.03.2020) in ihrer Sitzung Arne Frankenstein als Nachfolger von Dr. Joachim Steinbrück zum Landesbehindertenbeauftragten der Freien Hansestadt Bremen gewählt. Er wird das Amt zum 1. Mai dieses Jahres antreten. Arne Frankenstein engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Behindertenbewegung: Er ist seit April 2016 Vorsitzender des Vereins SelbstBestimmt Leben Bremen und Mitglied im Landesteilhabebeirat der Freien Hansestadt Bremen.

Ein Foto von Arne Frankenstein

Wolf Arne Frankenstein

Arne Frankenstein (*1987) ist Jurist und Experte auf dem Gebiet des Behindertengleichstellungsrechts. Nach Studium in Hamburg und Referendariat in Bremen arbeitete er als freiberuflicher wissenschaftlicher Autor und Gutachter im Völkerrecht, Sozialrecht und Behindertengleichstellungsrecht. Seit dem Sommersemester 2019 ist er Lehrbeauftragter am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Fulda. Er ist von Geburt an behindert, zu seiner selbstbestimmten Lebensführung nutzt er seit Kindertagen einen Rollstuhl und persönliche Assistenz.

Bremen 2020. Herr Frankenstein, wie weit sind wir mit der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen?
Heute genau vor 11 Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland in Kraft getreten. Seitdem hat sich einiges erheblich verbessert, aber ine inklusive Gesellschaft sind wir damit noch nicht. Wir stehen noch immer am Anfang einer Entwicklung. Viele Expert*innen in Wissenschaft und Praxis bescheinigen Deutschland als Vertragsstaat der UN-BRK, dass er mit der Umsetzung der Konvention in Verzug ist. Diese Ansicht teile ich.


Welche Themen sind für Sie am drängendsten?
Besondere Bedeutung hat die Fortschreibung des Landesaktionsplans zur Umsetzung der UN-BRK in Bremen. Er wird die Richtschnur für viele Maßnahmen vorgeben, die Bremen auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft voranbringen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat den bestehenden Plan überprüft und Bremen einige Verbesserungspotenziale aufgezeigt. Das Team des LBB ist schon seit Monaten dabei, diesen Prozess zu organisieren und wir hoffen, dass sich viele daran beteiligen. Enorm wichtig ist auch die weitere Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Bremen.


Worauf freuen Sie sich besonders?
Ich freue mich auf sehr viele persönliche Begegnungen, auf kontroverse Debatten genauso wie auf gemeinschaftliches, solidarisches und zielgerichtetes Wirken für die Rechte und Interessen behinderter Menschen in Bremen, Bremerhaven und umzu. Dabei ist mir die Zusammenarbeit mit behinderten Menschen, mit Behindertenverbänden und Organisationen, die Menschen mit Behinderungen vertreten, besonders wichtig. Als Expert*innen in eigener Sache sind vor allem sie es, die wissen, wo der Schuh drückt.


Was wird Ihre erste Amtshandlung sein?
Ich werde die Enquete-Kommission zur Klimaschutzstrategie in Bremen ersuchen, bei der Erarbeitung von Konzepten die besondere Situation von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen. Jetzt ist die Zeit für innovative Konzepte, um unser Zusammenleben nicht nur ökologischer, sondern auch diskriminierungsfreier zu gestalten. Beispielsweise bei der Entwicklung neuer Mobilitätsangebote zur Verkehrsentlastung dürfen behinderte Menschen nicht ausgeschlossen werden. Und auch bei der Gestaltung von Wohnraum, Angeboten der Daseinsvorsorge, Arbeitsbedingungen und Freizeitangeboten müssen diese Aspekte von Anfang an mitgedacht werden.


Macht Ihnen Corona derzeit Angst?
Ich selbst gehöre zu der Gruppe von Menschen, die einem erhöhten Risiko für Atemwegsinfekte ausgesetzt ist und ich habe auch einige enge Freund*innen, die aufgrund der Pandemie besonders gefährdet sind. Besonders besorgt bin ich, wenn ich an Menschen denke, die in hohem Umfang persönliche Assistenz in Anspruch nehmen und für die soziale Distanz nicht in gleichem Maße möglich ist wie für andere. Werkstätten für behinderte Menschen sind zwar richtigerweise geschlossen worden, adäquate Ersatzangebote hat aber natürlich niemand in der Schublade. Und gerade für Menschen, die schon vor der Pandemie psychische Beeinträchtigungen hatten, kann die momentane Situation besonders schwierig sein.


Können wir aus der jetztigen Situation etwas für die Zukunft lernen?

Ja. Eins wird zurzeit ja besonders deutlich: Uns allen sind unsere Freiheitsrechte lieb und teuer. Diese im Alltag für alle Menschen einzulösen, fordern behinderte Menschen schon lange. Viel zu oft stehen ihnen dabei Barrieren im Weg oder es fehlt an Infrastruktur, damit beispielsweise Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf gleichberechtigt ihren Lebensmittelpunkt in einer eigener Wohnung wählen und ihr Leben im Quartier selbstbestimmt gestalten können. Das muss sich ändern, unabhängig von Corona. Vielleicht entsteht durch die momentanen Begrenzungen hierfür ja ein schärfes Bewusstsein in der Gesellschaft...


Die schönsten Glückwünsche kamen bislang....

Aus meiner Heimatstadt Lübeck – und zwar in Form eines modellierten Marzipanherzens mit dem Schriftzug „LBB Bremen“ darauf. Ich war hin- und hergerissen: Esse ich es auf, weil es so lecker ist, oder behalte ich es, weil es so schön aussieht? Noch konnte ich mich zusammenreißen...


Nach der Arbeit mache ich am liebsten…
Ich koche gerne gemeinsam mit Freund*innen. Dabei bin ich ein richtiger Fischkopp und liebe alles, was aus dem Meer kommt. Außerdem bin ich aktiver Passivsportler und als solcher gern im Weserstadion oder auf anderen Sportanlagen unterwegs.
 

In Bremen trifft man mich meistens...
Im Sommer draußen – gerne bei einer ausgedehnten Rad-und-Rolli-Tour entlang des Werdersees oder in einem der vielen schönen Straßencafés im Viertel. Nahe der Sielwall-Kreuzung habe ich meine erste Wohnung in Bremen bezogen. Deshalb fühle ich mich dort besonders heimisch. Im Winter in einem guten barrierefreien Restaurant, zum Beispiel dem „Weserbogen“ am Anlieger des Weserstadions. Dort kann man übrigens zu jeder Jahreszeit schöne Sonnenuntergänge erleben.


Mein Motto…
Ich mag es hanseatisch: Weltoffen und verbindlich.