Wednesday, 09. November 2022

Erinnerung an Opfer der Novemberpogrome

Mit einer Gedenkstunde am Mahnmal in der Dechanatstraße haben Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft heute an die Opfer der Pogrome am 9. November 1938 erinnert. Bereits am Morgen hatten Schüler:innen der Oberschule am Leibnizplatz an einer über 150 Meter langen Kette vom Schulhof über den Leibnizplatz über Themen wie Antisemitismus, Ausgrenzung und Verfolgung informiert. Das Projekt war erstmals Bestandteil der Gedenkveranstaltung, die jedes Jahr am 9. November von der Bremischen Bürgerschaft organisiert wird. Fünf Bremer Jüdinnen und Juden waren 1938 in dieser Nacht von den Nationalsozialisten ermordet worden. Vizepräsidentin Sülmez Dogan, die den erkrankten Bürgerschaftspräsidenten Frank Imhoff vertrat, erinnerte in ihrer Rede an die Opfer und die Geschehnisse und Auswirkungen jener Nacht.

"Das unermessliche Leid des Holocausts können wir kaum erfassen. Die unmenschliche Grausamkeit, die Kälte der Täter, die konsequente Gleichgültigkeit gegenüber Nachbarn, Kolleginnen, Mitmenschen macht auch mich immer wieder sprachlos", sagte Sülmez Dogan. Das sei menschlich - und doch dürfe man sich dieser Sprachlosigkeit nicht dauerhaft hingeben. "Wir sind in der Pflicht, die Verbrechen von damals zu benennen und uns selbst die Erbarmungslosigkeit der Täter zuzumuten. Und wir sind in der Pflicht, die Opfer nicht zu vergessen", machte Dogan in ihrer Ansprache deutlich.

Für Dogan geht es bei Gedenktagen wie der Reichspogromnacht nicht nur um das Erinnern, sondern auch darum, aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus entschieden entgegen zu treten. Für das vergangene Jahr waren deutschlandweit mehr als 3.000 antisemitische Vorfälle erfasst worden. "Weder die Angst unserer jüdischen Mitmenschen noch der Antisemtismus in der Gesellschaft sind mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges weggespült worden", konstatierte Dogan. Antisemitismus beginne nicht erst bei der Holcaust-Leugnung, sondern viel eher: Am Stammtisch, auf dem Schulhof oder in der Straßenbahn.

Als Gastrednerin hatte die Bremische Bürgerschaft in diesem Jahr die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Anna Staroselski, eingeladen. Staroselski ist als Tochter jüdischer Kontingentflüchtlinge aus der Ukraine 1996 in Stuttgart geboren und aufgewachsen. Heute studiert Geschichte im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitet wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro einer Bundestagsabgeordneten. Als Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion setzt sich die Studentin für ein selbstbewusstes und sichtbares jüdisches Leben in Deutschland ein und für mehr Austausch zwischen nicht-jüdischen und jüdischen Jugendlichen.

"Wir erinnern heute an die dunkelsten Stunden der Geschichte Deutschlands und gedenken der Opfer der Shoa. Nicht aber zum Selbstzweck, sondern als Handlungsaufforderung. Denn Mensch-Sein bedeutet zu handeln", sagte Anna Staroselski in ihrer Rede. 1938 hätten sich Nachbarn gegen Nachbarn, Freunde gegen Freunde und Kollegen gegen Kollegen gewandt. Die Mehrheit der Deutschen habe nicht widersprochen und weggesehen bis es zu spät gewesen sei. Auch heute noch lebe man ein anderes Judentum in Deutschland als vor 1945. Historische Verantwortung übernehme man nicht, indem man diese gebetsmühlenartig Jahr für Jahr wiederhole: "Was geschehen ist, kann nicht wieder gut gemacht werden. Wir sind es aber den 6 Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden, den Überlebenden, die die Hölle auf Erden erlebten und allen ihren Angehörigen, die das Trauma vererbt und weitergetragen haben, schuldig, Tag für Tag gegen Judenhass zu kämpfen. Das bedeutet historische Verantwortung!", machte Staroselski deutlich.

Landesrabbiner Netanel Teitelbaum schloss die Veranstaltung mit einem Gebet.

Zum ersten Mal war das Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht am Mahnmal in der Dechanatstraße in diesem Jahr erweitert worden. Bereits am frühen Morgen hatten Schüler:innen der Oberschule am Leibnizplatz die Ergebnisse einer umfangreichen Projektarbeit zu Themen wie Antisemitismus, Ausgrenzung und Verfolgung an einer Kette vom Schulhof in die Neustadt präsentiert und viele Passant:innen und Anwohner:innen erreicht.

Die Schule hatte die Aktion und Inhalte während eines Projekttages vor den Herbstferien vorbereitet. Oberstufenschüler:innen hatten dabei kleinere Einzel-Projekte mit Schüler:innen der Unterstufe erarbeitet. Eine Dokumentation der Ergebnisse ist demnächst unter www.leibnizplatz.de abrufbar. Vizepräsidentin Sülmez Dogan war zum Start morgens dabei: "Ich bin beeindruckt, was da in Eigenregie auf die Beine gestellt worden ist. An so einem eigentlich traurigen Tag wie heute ist das ein großer Mutmacher!"



Anliegend finden Sie Bilder der Veranstaltung (Quelle: Bremische Bürgerschaft) sowie die Reden von Vizepräsidentin Sülmez Dogan und Gastrednerin Anna Staroselski.