Gedenken an die Opfer der Novemberpogrome 1938
Zum 87. Jahrestag haben Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft sowie Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Religionsgemeinschaften bei einer Gedenkstunde der Opfer der Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gedacht.
Da der 9. November in diesem Jahr auf einen Sonntag fiel, fand die Veranstaltung am Vormittag des 10. November statt. Aufgrund von Bauarbeiten in der Dechanatstraße war es zudem nicht möglich, die Gedenkstunde wie sonst üblich vor dem Mahnmal am Landherrnamt zu begehen. Sie fand stattdessen am Standort der alten Synagoge in der Kolpingstraße statt. Fünf Bremer Jüdinnen und Juden waren in dieser Nacht 1938 von den Nationalsozialisten ermordet worden. Präsidentin Grotheer erinnerte in ihrer Rede an die Getöteten und bat um eine Schweigeminute.
Grotheer griff diesen Ortswechsel in ihrer Rede auf. „In diesem Jahr erhalten wir dadurch eine andere Perspektive. Wir sind in diesem Jahr an genau jenem Ort, an dem 1938 Furchtbares geschah”, sagte sie und forderte die Anwesenden auf, sich die Perspektive vorzustellen, die sie von ihrem Standort vor 87 Jahren gehabt hätten. „Sie hätten von dort, wo Sie jetzt stehen, auf eine Ruine geblickt. Die Synagoge brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die Feuerwehr stand daneben. Sie löschte das Feuer nicht. Sie verhinderte nur, dass es auf benachbarte Gebäude übergriff."
Die Bürgerschaftspräsidentin erinnerte daran, dass in diesem Jahr 80 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus gefeiert werden konnte, ein Zeitraum, der so lang sei, dass immer weniger Zeitzeugen davon berichten könnten. „Umso wichtiger ist es, dass wir alternative Formen finden, um uns an die Menschen zu erinnern – die Opfer. Denn der Holocaust darf nichts Abstraktes werden – nichts, an das wir erinnern, das aber weit entfernt und weit weg von uns ist.“
Dass Menschen jüdischen Glaubens sich unsicher und bedroht fühlen, ist keine Vergangenheit. Es ist nicht abstrakte Geschichte. Es ist aktuelle Realität“, sagte Grotheer und ging auf die stark gestiegene Zahl antisemitisch motivierter Vorfälle ebenso ein wie auf den Zwischenbericht einer Studie des Kompetenzzentrums für antisemitismuskritische Bildung und Forschung. Auch darin berichteten die Gesprächspartner, dass Antisemitismus, Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen sowie verbale und körperliche Übergriffe zugenommen hätten. Grotheer: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen jüdischen Glaubens sich in unserem Land nicht sicher fühlen – und nicht sicher sind. Dass sie sich nicht trauen, ihren Glauben offen zu zeigen. Wir müssen jeglicher Form von Antisemitismus – egal aus welcher Richtung und egal, ob offen oder verdeckt, ob mit Worten und Taten entschieden entgegentreten.“
Als Gastredner hatte die Bürgerschaft in diesem Jahr Willy Schwarz eingeladen, der seit vielen Jahren die Gedenkstunde musikalisch begleitet. „Es ist mir nicht nur eine Ehre, heute hier sprechen zu dürfen, sondern auch eine Notwendigkeit. Nachdem all die Stolpersteine verlegt wurden, müssen die tieferliegenden Geschichten erzählt werden, darunter auch die Traumata von Menschen wie meinen Eltern, die geflohen sind. Wie alle Kinder von Flüchtlingen sind wir im Schatten ihres Traumas aufgewachsen“, sagte Schwarz und erzählte dann die Geschichte der Familien seiner beiden Elternteile im Faschismus.
Auch in diesem Jahr kooperierte die Bürgerschaft bei der Gedenkveranstaltung zudem mit einer Schule. Vier Schüler:innen der Oberschule Am Waller Ring stellten ein Projekt vor, in dem sie sich mit den Novemberpogromen, dem Nationalsozialismus und den Auswirkungen auf Menschen jüdischen Glaubens in Walle auseinandersetzen. Schüler:innen der St-Johannis-Schule trugen zudem Fürbitten vor.
Gemeinsam mit den Vizepräsidentinnen Sahhanim Görgü-Philipp und Christine Schnittker legte Grotheer einen Kranz am Mahnmal nieder. Landesrabbiner Netanel Teitelbaum schloss die Veranstaltung mit einem Gebet.

