Montag, 16. November 2015

"Die Kraft unserer Zivilgesellschaft wird stärker sein"

Ein Foto der Gedenkveranstaltung

Präsident Weber bei seiner Ansprache im Festsaal

„Die Gewalt des Islamischen Staates will unser freiheitliches Denken, unsere Mitmenschlichkeit, unser friedliches Miteinander zerstören. Dagegen setzen wir unsere Kraft als Zivilgesellschaft, unsere Ordnung und unser Recht, vor allem unsere Solidarität, die stark und grenzüberschreitend ist.“ Das sagte Bürgerschaftspräsident Christian Weber am gestrigen Sonntag während einer Gedenkfeier für die Opfer der Terroranschläge in Paris. Unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern sei brutal das Leben genommen worden. „Wir werden zu verhindern wissen, dass die Mörder unsere demokratischen Werte und Existenzgrundlagen vernichten.“


Die Rede des Bürgerschaftspräsidenten im Wortlaut:

Meine sehr geehrten Damen und Herren, chers amis,

ich danke Ihnen für Ihr Kommen. Es ist ein gutes, ein tröstliches Zeichen, dass so viele Menschen hier zusammen sind, um gemeinsam der Opfer des Terroranschlags von Paris und ihrer Angehörigen zu gedenken. Wir sind fassungslos angesichts des kriegerischen Aktes, der sich in der Mitte Europas ereignete. Es ist alles so unendlich unfair und traurig. Eigentlich fehlen uns die Worte. Und ich bitte Sie um eine Minute des Innehaltens und des Schweigens.

Eigentlich fehlen uns die Worte, aber wir dürfen nicht schweigen. Denn die blutige Tat, nur zehn Monate nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo", stellt einen Generalangriff auf die Freiheit, die Demokratie und unser Wertesystem dar, auf Verständigung und Toleranz. Es ist ein massiver Angriff auf unsere Zivilisation. Dass wir wehrhaft und meinungsstark bleiben müssen, schulden wir am allermeisten den Opfern von Paris!

Wir begehen in Deutschland heute den Volkstrauertag, in Frankreich fand Vergleichbares am 11. November statt. 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs geht es nach den erschütternden Erfahrungen von Paris möglicherweise darum, einen neuen Krieg - die öffentliche Meinung warnt bereits vor einem Dritten Weltkrieg - zu verhindern. Denn der Anschlag von Paris trifft auch uns, in den Städten Berlin, Hamburg, Köln – oder auch Bremen. Es ist mir ein großes Bedürfnis, dass wir an dieser Stelle an den schweren Terroranschlag im Oktober in Ankara erinnern. Auch dort wurden über 100 Menschenleben ausgelöscht. Wir fühlen mit den Hinterbliebenen und dem türkischen Volk, das so sehr unter Terror-Gewalt leiden muss.

Es herrscht heute Krieg, unweit von Europa entfernt: in Syrien, Irak, Afghanistan oder Nigeria. Wir gedenken der Opfer von Gewalt, der Opfer von Terror. Und wir denken auch an die Menschen, die vor Terror auf der Flucht sind – in die Nachbarländer und nach Europa. In Kriegen sterben nicht nur Soldaten, sondern viele unschuldige Menschen, darunter unzählige Kinder. Und das gilt für den barbarischen Terror erst recht! 

Meine Damen und Herren, der Volkstrauertag ist für mich auch ein Tag des Mahnens. Er mahnt zu Konfliktlösungen. Auch nach dem Terror von Paris meine ich: Konfliktlösungen möglichst nicht militärisch, sondern zivil, auf dem Parkett der Diplomatie. Und zivil bedeutet für mich, mit rechtsstaatlichen Mitteln. Gleichwohl vermag ich mir vorzustellen, dass heute der Wunsch, man solle auf Gewalt mit Gegengewalt reagieren, wieder mehr Anhänger findet.

Ich lese in diesen Tagen viel über Rüstungsgeschäfte und einmal mehr steigende Exporte von Waffen, Munitionen und so weiter. Ich entdecke allerdings kaum Programme, die Instrumente humaner Konfliktbearbeitung mit dem nötigen finanziellen Mehraufwand intensiv fördern und verbreiten. Das muss sich ändern. Im Geiste und im Tun. Wir in Europa stehen nach wie vor mehr oder weniger machtlos einer Verrohung der Gesellschaft gerade in den Großstädten gegenüber, unsere Anstrengungen in Bildung und Ausbildung reichen nicht aus,  und wir versäumen es, klare Zukunftsperspektiven insbesondere für die jüngere Generation zu schaffen.

Ursachenbekämpfung wird jetzt gefragt: Wie helfen wir Staaten mit korrupten, absolutistischen, diktatorischen Regimen wirklich? Durch Geld für Projekte? Oder nicht doch eher durch die tagtägliche Demonstration: dass unsere Werte, unser Rechtsstaat sich lohnen, auch für Länder, in denen der IS sein tyrannisches, terroristisches System propagiert und leider weltweit immer weiter Anhänger findet – solche, die wir nicht zu binden vermögen! 

Meine Damen und Herren, vergessen wir nicht: 2012 wurde der Europäischen Union der Friedensnobelpreis verliehen, eine Würdigung für einen jahrzehntelangen, gemeinsamen Weg zu Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten. Die Auszeichnung bedeutet Ermutigung und Verpflichtung zugleich. Verpflichtung, diese Werte aktiv zu wahren und zu verteidigen, sich zudem gegen Rassismus und Antisemitismus zur Wehr zu setzen – nicht nur in den eigenen Reihen, innerhalb seines Territoriums, sondern weltweit. Krieg ist überall das größte und schwerste aller Verbrechen. Er zerstört Leben – physisch wie psychisch – und Landschaften; er zertrümmert Zivilisation und Hoffnung auf Zukunft.

Die Gewalt des Islamischen Staates will unser freiheitliches Denken, unsere Mitmenschlichkeit, unser friedliches Miteinander zerstören. Dagegen setzen wir unsere Kraft als Zivilgesellschaft, unsere Ordnung und unser Recht, vor allem unsere Solidarität, die stark und grenzüberschreitend ist. Und: Liberté, Égalité, Fraternité! 

Meine Damen und Herren, nichts wird gut nach diesem grausamen Wochenende, an dem arglose Menschen, die entspannen und ihre Freizeit genießen wollten, ermordet wurden. Wir in Bremen, die wir so eng und freundschaftlich über unsere Schulen, über Austauschprogramme, über die Hochschulen, über Unternehmen wie Airbus und Astrium und nicht zuletzt über das engagierte und wunderbar vernetzte Institut Francais Bremen mit Frankreich verbunden sind, gedenken der Opfer und sind mit unseren Herzen und Gedanken bei denen, die Familienangehörige und Freunde auf grausamste Weise verloren.

Unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern wurde brutal das Leben genommen. Wir werden zu verhindern wissen, dass die Mörder unsere demokratischen Werte und Existenzgrundlagen vernichten. Es lebe Frankreich! Vive la France!