Tuesday, 31. October 2017

"Reformation hat uns gelehrt, selber zu denken und zu entscheiden"

Zum Reformationstag am 31. Oktober, der in diesem Jahr erstmals wieder ein offizieller Feiertag ist, erklärt Bürgerschaftspräsident Christian Weber: "Wir kennen Zeiten, da reagierten die Menschen mit Gehorsamkeit auf das, was die Obrigkeit ihnen sagte beziehungsweise befahl. Obwohl sie spürten, dass es nicht immer richtig war, was ihnen abverlangt wurde. Inzwischen haben wir gelernt, selber zu denken und zu entscheiden – dank der Reformation und der Aufklärung.

Christian Weber während eines Vortrags zur Reformation

Mit der Bibelübersetzung von Martin Luther wurde uns die deutsche Sprache gegeben. Sie ermöglichte im Folgenden die Freiheit für alle, sich zu ihrem / seinem Glauben zu bekennen, die eigene Meinung zu äußern und sich Wissen anzueignen. Alle haben ein Recht auf Bildung; alle sind frei in Fragen von Glauben und Gewissen.

Das war den Menschen damals so sicherlich noch nicht in der Breite wie heute bewusst. Aber darin zeigen sich die Anfänge demokratischer Prinzipien; die Menschen sollen mitreden in Glaubens- und Gesellschaftsfragen statt Dogmen nachzuhängen. Die Reformation hat nicht nur die Kirchen, sondern die ganze Gesellschaft verändert. Und diese steht heute wieder vor Herausforderungen, die von Religionsseite an sie gestellt werden. Das ist islamistisch motivierte Gewalt und Terror, gewiss. Ich nenne auch rechte, rechtpopulistische Gruppierungen in Deutschland und Europa, die laut vorgeben, das christliche Abendland zu verteidigen. Aber gehen wir ihnen nicht auf den Leim: Denn ein christliches Abendland ist geprägt von Barmherzigkeit, Nächstenlieben und Toleranz gegenüber Fremden.

Martin Luther sagte: Man muss dem Volk aufs Maul schauen und zuhören, was das gemeine Volk sagt. Dieser Rat scheint mir heute gerade für uns Politiker aktuell wie nie zu sein. Er bedeutet: auf die Menschen achten, auf sie zugehen, mit ihnen, nicht nur über sie reden, sie in ihrem Alltagsleben verstehen. Spracherziehung, Bildung und Ausbildung – sie sind Schlüsselfaktoren für das Sein und Dasein des Menschen in einer Umgebung, die ihm die Orientierung nicht leicht macht. Ohne Wissen, ohne Verstehen ist Weg zu Verständigung, Frieden und Wohlergehen schwerlich zu bewältigen. Martin Luther formulierte ein damals geradezu revolutionäres Ziel: die gesamte Bevölkerung, unabhängig von Geschlecht und Schichtzugehörigkeit, zu alphabetisieren. So lässt sich die Maxime „Bildung für alle“ durchaus auf Luther zurückführen  - und damit unsere Befähigung zum kritischen Denken und Nachdenken. Machen wir davon reichlich Gebrauch, auch wenn es hier und da verdammt anstrengend ist.